- Glas: Der transparente Werkstoff
- Glas: Der transparente WerkstoffGläser sind, wissenschaftlich betrachtet, gar keine Festkörper im engen Sinn des Wortes, da sie sich wie eine extrem zähe Flüssigkeit verhalten. Augenscheinlich wird dies beispielsweise an sehr alten Fensterscheiben, bei denen im Laufe der Zeit ein Teil des Glases von oben nach unten geflossen ist, sodass die Scheibe oben wesentlich dünner ist als im unteren Teil. Daher bezeichnet man Gläser auch als unterkühlte Schmelzen.Gläser haben sich im Gefolge der industriellen Revolution vom Luxusgut zum alltäglichen Material entwickelt und sind nun als Fensterscheiben, als Trinkgläser und Brillengläser in jedem Haus zu finden. In Industrie, Forschung und Kommunikation sind Spezialgläser unentbehrliche Hightech-Materialien geworden. So gibt es bleioxidhaltige Strahlenschutzgläser, die intensive radioaktive Strahlung absorbieren können. Hitzefeste Gläser werden heute in fast jedem Laboratorium eingesetzt; optische Linsensysteme sind in jedem Fotoobjektiv, aber auch im Hubble-Weltraumteleskop zu finden.Die Herstellungsverfahren von Gläsern sehen im Prinzip heute noch so aus wie vor vielen Hundert Jahren. Die meisten Glassorten haben ein recht alltägliches Material, nämlich Siliciumdioxid (SiO2), also Quarzsand, als Grundmaterial. Darüber hinaus enthalten sie Natriumoxid (Na2O), das den Schmelzpunkt herabsetzt (wichtig für die Herstellung), und Kalk (CaO), der das Erblinden des Glases verhindert. Handelsüblich sind Mischungen von 75 Prozent SiO2, 15 Prozent Na2O und 10 Prozent CaO.Erhitzt man die Mischung auf mehr als 1000 Grad Celsius, so entsteht die Glasschmelze. Die Schmelze wird einige Zeit auf dieser Temperatur gehalten — man bezeichnet dies als Läutern —, sodass störende gasförmige Bestandteile entweichen können. Um eine hohe Gleichförmigkeit des Glases zu erreichen, eine Eigenschaft, die vor allem bei optischen Gläsern und Lasergläsern gefordert wird, rührt man die Schmelze immer wieder um. Je nach Anwendungsgebiet wird das glutflüssige Glas in Formen gepresst, geblasen oder gezogen. Großflächige Scheiben werden zumeist gewalzt oder über ein Zinnbad geführt, wodurch Gläser mit besonders glatter Oberfläche entstehen.Was zeichnet Glas gegenüber anderen Materialien aus? Interessant ist der Vergleich mit reinem Silicium, das in Form von großen Einkristallen die Grundlage der Mikrochips für Computer bildet. Damit sich regelmäßige Kristalle bilden können, muss das erhitzte und flüssig gewordene Silicium besonders langsam abkühlen und erstarren. Ganz anders dagegen beim Glas: Hier kommt es gerade auf eine schnelle Abkühlung der Schmelze an. Um dies zu erreichen, werden unter anderem beim Walzen von Glasscheiben die Walzen mit Wasser gekühlt. Die schnelle Erstarrung bewirkt, dass sich regelmäßige kristalline Strukturen nur in mikroskopisch kleinen Bereichen bilden können, als Ganzes gesehen ist Glas amorph.Um Glas mit unterschiedlichen Farben oder besonderen Eigenschaften herzustellen, fügt man ihm zusätzliche Substanzen hinzu. Neben Alkalioxiden wie Natriumoxid und Erdalkalioxiden wie Barium- oder Calciumoxid werden auch andere Metalloxide, beispielsweise Aluminiumoxid und Bleioxid zugesetzt. Unerwünscht sind Beimengungen von Eisen, Nickel oder Cobalt — außer bei bestimmten Spezialgläsern —, da sie im sichtbaren und infraroten Spektralbereich die Transparenz von Glas herabsetzen. Für technisch-wissenschaftliche Gläser, etwa in Mikroskopen, sollten die Gläser aber in einem breiten Spektralbereich durchlässig sein.Der Beginn der Geschichte der systematischen Glasforschung, in der gezielt nach Glassorten mit ganz spezifischen Eigenschaften gesucht wird, datiert in die Mitte des 19. Jahrhunderts; ihre Pioniere waren der Mechaniker und Unternehmer Carl Zeiss, der Physiker Ernst Abbe und der Chemiker Friedrich Otto Schott, Namen, die auch heute noch mit technischen Gläsern verbunden werden.Glas und seine AnwendungenMit den Möglichkeiten der modernen Glastechnik kann auch ein so alltägliches Objekt wie die Brille noch verbessert werden. So werden zur Korrektur einer altersbedingten Sehschwäche häufig Brillengläser benötigt, bei denen im oberen und im unteren Bereich der Linse unterschiedliche Brechzahlen herrschen. Dabei dient der untere Bereich zur Korrektur für den Nahbereich, der obere und seitliche Bereich des Brillenglases zur Korrektur der Fernsicht. Die traditionelle Methode zur Herstellung solcher Brillengläser besteht darin, einen Glasrohling mit einer Aussparung zu erzeugen, der mit einem passenden zweiten Rohling verschmolzen wird. Das bedeutet aber, dass bei dieser Methode beide Gläser denselben thermischen Ausdehnungskoeffizienten besitzen müssen, da sonst bei der Abkühlung oder bei einer späteren Erwärmung Spannungen im Material auftreten, die im Extremfall einen Glasbruch verursachen können. Bei neueren Brillen verwendet man hingegen eine Glassorte, die in unterschiedlichen Bereichen verschiedene Brechzahlen aufweist, man spricht auch von GRIN-Gläsern (GRIN: Gradient Index, zu Deutsch: Brechzahlanstieg). Solche Brillengläser sind aus nur einem Rohling gefertigt. Hergestellt werden sie, indem man beispielsweise mit chemischen Aufdampfverfahren auf den Rohling dünne Schichten aus Glas mit einer anderen Brechzahl aufträgt oder indem man den stabförmigen Rohling in eine Alkalisalzschmelze taucht, die zum Beispiel Kaliumionen enthält. Aufgrund der unterschiedlichen Konzentrationen von Alkaliatomen im Glas und im Salz findet dann ein Ionenaustausch statt: Natriumionen aus dem Stab wandern in die Salzschmelze und umgekehrt Kaliumionen von der Schmelze in den Stab. Dies bewirkt in dem Teil des Stabes, der sich in der Schmelze befindet, eine geringfügige Veränderung der kristallinen Struktur sowie der Dichte des Glases, wodurch die gewünschte Variation der Brechzahl hervorgerufen wird.Eine andere, weniger alltägliche Sorte von Hightech-Gläsern sind Lasergläser — Spezialgläser, in denen monochromatisches Licht hin- und herreflektiert und dabei aufgrund des Lasereffekts zu einer extrem intensiven Strahlung verstärkt wird. Dabei wurde Glas früher beim Laser nur als Spiegelmaterial verwendet, neuerdings gibt es jedoch auch Laser, bei denen das Glas selbst das Lasermedium ist. In solchen Lasergläsern im eigentlichen Sinne werden im Material Farbzentren eingelagert, zumeist Ionen von Aluminium, Chrom oder Neodym. Diese nehmen in das Glas eingestrahltes Pumplicht auf, werden dadurch angeregt und zur Emission von exakt »gleichartigem« Licht stimuliert, sofern das Pumplicht eine ganz bestimmte, je nach Farbstoff verschiedene, Wellenlänge besitzt. Im Laserglas treten sehr hohe Energiedichten auf, die besondere Anforderungen an das Material stellen. Normale Gläser würden sich bei diesen hohen Energiedichten verziehen oder sogar zerstört werden.Ein besonderes Problem bei der Verwendung von Glas als Lasermedium stellen winzige Einschlüsse im Glas dar, die Relikte des Glasherstellungsprozesses sind. Diese Einschlüsse würden beim Einsatz als Laserglas so viel Energie absorbieren, dass sie in kürzester Zeit über ihre Siedetemperatur hinaus aufgeheizt und dann im Glas regelrecht explodieren würden. Die Folge wären winzige Bruchstellen, welche die Uniformität des Laserlichts stören würden. Abhilfe können Spezialgläser wie Neodym-Phosphat-Gläser schaffen, bei denen praktisch keinerlei Einschlüsse auftreten.Eine weitere Schwierigkeit bei der Verwendung von Glas als Lasermedium sind nichtlineare optische Effekte, zu denen es bei den im Laser auftretenden hohen Energiedichten kommen kann. Laserstrahlung ist, wie jedes Licht, eine elektromagnetische Welle, welche die Elektronen aller Atome des Glases aus ihrer Ruheposition heraus quasi zu Schwingungen um den Atomkern anregt. Solange die elektrische Feldstärke der Welle noch relativ gering ist, schwingen Elektronen und Lichtwelle in Phase, also im Takt. Steigt die Feldstärke des Lichts an, erhöht sich die Auslenkung der Elektronen proportional. Oberhalb einer bestimmten Feldstärke gilt dieser einfache lineare Zusammenhang jedoch nicht mehr. Es kommt zu einer Verzögerung zwischen der Schwingung der Elektronen und derjenigen der Lichtwelle, mit der Folge, dass die Ausbreitungsgeschwindigkeit des Laserlichts im Glas abnimmt. Eine solche Verringerung der Lichtgeschwindigkeit im Glas ist aber gleichbedeutend mit einer Erhöhung der Brechzahl. Da die Intensität des Laserstrahls in seiner Mitte am höchsten ist, ist dort auch die Brechzahl am höchsten; zum Rand hin nehmen Strahlintensität und Brechzahl ab. Das Glas wirkt daher wie eine Linse, die den Laserstrahl zur Mitte hin fokussiert. Durch diese Autofokussierung kann die Intensität in der Strahlmitte so hoch werden, dass das Glas selbst zerstört wird, was sich dann an den feinen, faserförmigen Trübungen im Glas erkennen lässt.»Intelligente« HausfassadenAuch bei Gläsern heißt das Zauberwort »intelligente Werkstoffe«, unter dem solche Materialien zusammengefasst werden, die auf Umgebungseinflüsse reagieren können. Gläser mit diesen bemerkenswerten Eigenschaften wurden in den letzten Jahren in zunehmendem Maße entwickelt. So wird in Zukunft eine gläserne Hausfassade selbsttätig für angenehme Licht- und Klimaverhältnisse im Hausinnern sorgen, sie wird Alarm auslösen, wenn ein Einbrecher eine Scheibe zerbricht, und nebenbei wird sie noch die elektrische Energie für die Hausbewohner zur Verfügung stellen.Hergestellt werden »intelligente« Gläser, indem man Glasoberflächen mit Kompositschichten veredelt. Diese Schichten reagieren beispielsweise mit dem Ultraviolettanteil des Sonnenlichts und verändern entsprechend der Bestrahlungsstärke ihre Durchlässigkeit für sichtbares Licht. Verantwortlich für diesen Effekt sind polychrome Farbstoffe.Im Prinzip sind Gläser mit Farbstoffen nichts Neues; schon seit längerer Zeit kennt man Brillengläser, die ihre optische Durchlässigkeit den Lichtverhältnissen anpassen. Auf die großen Glasfassaden der modernen Architektur ließe sich dieses Verfahren jedoch nicht ohne weiteres übertragen; das direkte Vermischen der Glasschmelze mit Farbstoffen ist für die benötigten großen Formate zu teuer. Ein nahe liegender Ausweg besteht darin, das bereits fertige Glas mit einer dünnen Beschichtung zu überziehen, die keine Brechzahlunterschiede zum Glas aufweist und die sich bei Lichteinfall kräftig einfärbt. Mit den üblichen physikalischen Vakuumbeschichtungsverfahren ist dies nicht zu machen, denn die Fassadenglasscheiben sind viel zu groß für jede Vakuumanlage. Hilfe bietet hier die chemische Nanotechnologie in Form eines speziellen Verfahrens, das sich Sol-Gel-Technik nennt. Damit wird ein gläsernes Grundmaterial hergestellt, das extrem porös ist. Die Poren dieser Matrix, wie ein solcher poröser Ausgangsstoff fachsprachlich bezeichnet wird, sind nicht größer als einige Nanometer (millionstel Millimeter), sie sind mit dem bloßen Auge also nicht sichtbar. In sie werden die lichtempfindlichen Farbstoffe eingelagert. Damit gelingt das Auftragen von nur fünf bis fünfzig Mikrometer dünnen Schichten, die dennoch über einen weiten Bereich die Lichtdurchlässigkeit beeinflussen können. Der Anteil des Lichts, den eine solche Schicht durchtreten lässt, kann zwischen zehn und neunzig Prozent schwanken. Beim derzeitigen Stand der Entwicklung dauert es im Mittel eine bis zehn Minuten, bis ein solches Glas sich ganz verdunkelt und dann vollständig wieder aufgehellt hat. Durch Veränderung der chemischen Zusammensetzung dieser komplexen Mischung ist es möglich, die Zeiten für Verdunklung und Entfärbung zu verkürzen und so schnell schaltbare Systeme zu erhalten.Die Herstellung von lichtempfindlichen Schichten muss keineswegs nur auf Glas beschränkt bleiben. So können transparente, photochrome Folien als Fensterinnenrollos oder als zeitlich variable farbige Beschichtungen dienen, etwa auf Keramik, Metall, Kunststoffen und Papier. Die lichtempfindliche Tapete, deren Blumenmuster sich entsprechend der Umgebungshelligkeit einstellt, liegt damit technisch im Bereich des Möglichen.Damit nicht genug, es wurden inzwischen auch Materialien entwickelt, die im Neutralzustand optisch transparent sind, sich aber verdunkeln, sobald an sie eine elektrische Spannung gelegt wird. Solche Materialien werden als elektrochrom bezeichnet. Sie gehören zu den in einem späteren Kapitel ausführlich behandelten Nanokompositsystemen, die bei großflächigen Anwendungen über ein Nassbeschichtungsverfahren (Tauchen) in einzelnen Schichten aufgebracht werden. Genau genommen handelt es sich um einen mehrschichtigen Verbund, der selbst zwischen zwei Glasscheiben untergebracht ist. Kern dieses Aufbaus ist die elektrochrome Schicht. Im Grunde stellt eine elektrochrome Schicht eine elektrolytische Anordnung dar, ähnlich wie man sie auch in Trockenbatterien findet. In der Tat wurde das der elektrochromen Schicht zugrunde liegende Prinzip bei der Suche nach verbesserten Batteriematerialien entdeckt. Die Schaltzeiten für solche Systeme hängen von ihrer Größe ab, da die Bewegung der Ladungsträger, welche die Verdunkelung bewirken, relativ langsam ist. Die Einfärbung dauert daher umso länger, je größer ein solches Element ist. Ein Fenster von 50 × 80 Zentimetern verfärbt sich innerhalb von etwa drei Minuten und entfärbt sich in zwei Minuten wieder; dies sind für den Architekturbereich akzeptable Werte.Schnellere Schaltzeiten findet man bei einer anderen Materialklasse, den Festkörperelektrolyten. Diese können ihre optischen Eigenschaften in Sekundenschnelle verändern, sind allerdings auf Bauteile geringer Größe, etwa Kameradisplays oder abblendbare Kfz-Innenspiegel, beschränkt; der Herstellungsprozess ist bei ihnen um ein Vielfaches komplizierter als bei »intelligenten« Gläsern.Mit in die Reihe der »intelligenten« Werkstoffsysteme auf Glasbasis gehören auch die photovoltaischen Beschichtungen, die man in Solarpanelen findet. Das Potenzial dieser Technik bezüglich der Umwandlung von Sonnenenergie in elektrische Energie muss als geradezu unerschöpflich gelten, bedenkt man, dass allein das täglich von der Erdoberfläche reflektierte Sonnenlicht einem Energiebetrag entspricht, der rund fünf bis zehn Millionen Mal größer ist als die gesamte bisher von der Menschheit verbrauchte Energie. Leider sind die Wirkungsgrade der heutigen Solarzellen noch recht klein. Selbst die hochreinen — und damit recht teuren — Zellen aus einkristallinem Silicium sind in der Regel nicht in der Lage, mehr als ein Zehntel bis ein Fünftel der einfallenden Strahlung zu nutzen. Eine größere (absolute) Ausbeute ließe sich nur durch eine Vergrößerung der Fläche der Einkristalle erreichen, doch diesem Weg sind Grenzen gesetzt. Polykristalline oder amorphe Systeme dagegen sind leichter herzustellen, haben aber noch geringere Wirkungsgrade. Erste Versuche mit nanokompositären Glasbeschichtungen, in die Halbleiter wie reines Silicium als funktionelle Additive eingefügt wurden, haben jedoch gezeigt, dass auch bei diesen Systemen photovoltaische Eigenschaften entstehen. Durch die geringe Dicke dieser Schichten bleiben sie vollständig transparent und lassen sich auf Fensterglas auftragen, ohne dass die freie Sicht beeinträchtigt wird. Hier eröffnen sich der Photovoltaik eventuell ganz neue Dimensionen. Die Vision, demnächst ganze Hochhausfassaden aus Glas mit einer photovoltaischen Beschichtung versehen zu können, hat die Entwicklung solcher Systeme auf Hochtouren gebracht. Ziele sind die Verbesserung der immer noch geringen Wirkungsgrade der Schichten sowie die Entwicklung von noch einfacheren Beschichtungstechniken.Denkbar sind noch weitere Innovationen, die auf »intelligenten« gläsernen Werkstoffen aufbauen, so etwa auf Glas aufgetragene Beschichtungen, die als Großflächendetektor für infrarote oder andere elektromagnetische Strahlung dienen. Das Besondere solcher Systeme wäre ihre vollständige optische Transparenz. Der Kern dieser Anwendungen ist immer die Integration mehrerer unterschiedlicher Additive in einer Beschichtung. Sie bewirken die eigentlichen »intelligenten« Eigenschaften. So könnte eine einzige, mit mehreren Additiven versehene Beschichtung, auf einer Schaufensterscheibe aufgetragen, elektrische Signale liefern, die die Klimaanlage steuern, bei Regenschauern die Markise ausfahren, das Licht einschalten, und bei Zerstörung würde eine solche Beschichtung die Alarmanlage auslösen.Glas als elektrischer LeiterEigentlich zählt Glas zu den elektrischen Isolatoren. Dennoch ist man in der Lage, gläserne Materialien herzustellen, die elektrischen Strom leiten. Wie dies möglich ist, zeigt ein genauerer Blick auf die innere Struktur des Glases. Wie schon beschrieben, sind Gläser amorph, auf atomarer Ebene bilden sie ein regelloses Netzwerk, vergleichbar mit dem einer sehr zähen Flüssigkeit. Entsprechend findet man auch ein Durcheinander atomarer Strukturen. Bei näherer Untersuchung ist das Netzwerk jedoch gar nicht so ungeordnet, wie man zunächst glauben möchte. Der genaue Blick offenbart zwischen den einzelnen Atomen der Netzwerkbildner — meist Siliciumdioxidmoleküle (SiO2) — eine ausgeprägte Nahordnung; diese Moleküle verbinden sich zu Grundbausteinen der Glasmatrix und bilden so gleichsam das Rückgrat des Glases.Zusätzlich zu solchen Netzwerkbildnern können auch als Netzwerkwandler bezeichnete Substanzen in die Glasmatrix eingebracht werden. Dabei handelt es sich meist um Alkali- oder Erdalkaliverbindungen. Ein typischer Netzwerkwandler ist beispielsweise Natriumoxid (Na2O). Die positiv geladenen Ionen (Kationen) eines Netzwerkwandlers sind so in die Matrix des Netzwerkbildners eingebaut, dass sie sich relativ leicht bewegen können. Liegt nun eine elektrische Spannung an, so beginnen die Ionen zu wandern, und es fließt ein Strom. Solche Gläser leiten also den Strom — anders als Metalle, bei denen Elektronen als Ladungsträger fungieren — auf gleiche Art und Weise wie mineralhaltiges Wasser und andere elektrolytische Flüssigkeiten: durch den Transport von Ionen. Die Leitfähigkeit, die aus diesem Ionentransport resultiert, ist allerdings um einen Faktor von mehr als 1012 geringer als diejenige der Metalle.Die Stromleitung der Gläser kann dadurch verbessert werden, dass man Netzwerkwandler einsetzt, deren Ionen bei hoher elektrischer Ladung einen kleinen Ionenradius aufweisen; dadurch sind sie besonders beweglich. Sorgt man zusätzlich noch dafür, dass das Netzwerk der Siliciumdioxidmoleküle möglichst offen und schwach ausgeprägt ist — das lässt sich beispielsweise durch die Zugabe von Sulfat-Ionen erreichen —, so steigt die Leitfähigkeit um einen Faktor 100 000. Man erhält dann superionenleitende oder FIC-Gläser (englisch: fast ionic conducting). Noch höhere Leitfähigkeiten erreicht man durch Verwendung von Salzen (meist Phosphatverbindungen) und Silber- oder Wolframionen. Man bezeichnet solche Gläser als Phosphatgläser, sie leiten den Strom »nur noch« 100 000-mal schlechter als Metalle. Solche Werkstoffe können beispielsweise die elektrolytischen Flüssigkeiten in Batterien ersetzen. Dies führte zur Entwicklung von Feststoffbatterien.Eine ganz andere Gruppe leitfähiger Gläser sind diejenigen Gläser, bei denen die chemische Zusammensetzung so verändert werden kann, dass sie, wie reines Silicium, zu Halbleitern mit Elektronenleitung werden. Typische Vertreter dieser Gläser enthalten größere Mengen von Elementen, die in mehreren elektronischen Zuständen (Wertigkeiten) existieren können. Der chemische Baukasten wird dann fast unübersichtlich groß. Zum Einsatz kommen Elemente wie Eisen, Mangan, Vanadium, Titan, Cobalt, Molybdän und Wolfram bei klassischen Gläsern und Schwefel, Selen, Tellur, Phosphor, Arsen, Strontium oder Bismut bei den Chalkogenidgläsern. Auf welche Weise in diesen Gläsern die Stromleitung vonstatten geht, darüber sind sich die Wissenschaftler noch nicht endgültig schlüssig geworden. Man darf daher davon ausgehen, dass die Entwicklung elektrisch leitfähiger Gläser erst am Anfang steht.GlasmembranenSeit mehr als 50 Jahren werden poröse Gläser hergestellt. Sie finden ihren Platz beispielsweise im Bereich der Adsorptionstechnik, also der selektiven Anlagerung von Fremdpartikeln an eine Matrix, oder als Membranen genannte Filterwerkstoffe. Eine wichtige Anwendung solcher Membranen sind kinetische Trennverfahren (Membranverfahren), bei denen die Komponenten einer Flüssigkeit oder eines Gases mit unterschiedlicher Geschwindigkeit durch eine Membran strömen und dadurch getrennt werden. Man benutzt diese Filterverfahren vor allem auf dem Gebiet der Trinkwassergewinnung aus Meerwasser, indem die Kochsalzionen aus der Lösung am Durchtritt durch das poröse Glas gehindert werden. Abhängig sind solche Wanderungsvorgänge von der Porengröße, der Porenstruktur, der Membrandicke und von der Fähigkeit der Schichten, vorbeiströmende Moleküle durch chemische Bindungen an der Oberfläche festzuhalten. Membranen mit fein verteilten kleinen Poren besitzen eine hohe spezifische Oberfläche (oft mehrere 100 Quadratmeter pro Gramm Membranmaterial) und können damit viele Anlagerungspunkte für die Moleküladsorption aufweisen. Wenn die Poren allerdings zu klein geraten, so ist die Effektivität dieser Membran wegen der dann zu geringen Durchlässigkeit stark herabgesetzt.Die Herstellung von porösem Glas, das als Glasmembran verwendet werden soll, erfolgt in der Regel durch Erhitzen einer geeigneten Glassubstanz, bei der eine lösliche und eine unlösliche Phase entstehen. Die lösliche Phase lässt sich durch eine chemische Behandlung meist mit mineralischen Säuren extrahieren, das zurückbleibende SiO2-Skelett wird durch Sintern in ein SiO2- Glas überführt. Gläser, die solcherart herzustellen sind, enthal- ten Natrium-, Lithium-, Kalium-, Bor- und Siliciumoxide, fachsprachlich: Sie besitzen eine Zusammensetzung auf der Basis von Na2O/LiO2/K2O-B2O3-SiO2-Komponenten. Ihre Herstellung erfolgt seit den 1930er-Jahren in großtechnischem Maßstab (VYCOR-Glas); ein großer Vorteil dabei ist, dass sie schon bei Temperaturen von 1000 bis 1300 Grad Celsius entstehen, also deutlich unterhalb der Schmelztemperatur von reinem Siliciumdioxid (1410 Grad Celsius). Erst nach 1950 erkannte man, dass sich die porösen Zwischenprodukte von ausgelaugten Natriumborsilicatgläsern besonders gut zu einer Vielzahl von Anwendungen im Bereich der Membrantechnologie eignen.Eine prinzipielle Fragestellung bei der Verwendung von porösen Gläsern als Filtermaterial ist deren chemische Beständigkeit in wässrigen und salzhaltigen Lösungen, insbesondere in Bezug auf das Ablösen von Siliciumdioxid. Durch Behandlung mit speziellen Salzlösungen (AlCl3, Fe- oder ZrO2-Ionen) kann man die Schichten stabilisieren.Entsalzungsglaswerkstoffe besitzen nicht nur eine rein geometrisch bedingte Filterwirkung, sie wirken auch als Kationenaustauscher. Das bedeutet, dass Alkaliionen der Lösung in das Glas eindringen, dort festgehalten werden und dabei im Glas enthaltene Netzwerkwandler-Kationen verdrängen.Die Anwendung von porösen Gläsern als Molekularsiebe beruht daher zum einen auf der speziell angepassten Porengrößenverteilung und zum anderen auf der Wechselwirkung unterschiedlicher Moleküle mit der Oberfläche. Der Grund für die Verwendung von Gläsern als Filter in Wissenschaft und Industrie liegt in ihrer hervorragenden Säurestabilität; ferner sind sie leicht zu sterilisieren und damit auch für die Trennung biologischer Substanzen zu verwenden. Beispielsweise lassen sich submikroskopische Partikel durch Gläser mit Porengrößen von ein bis zwei Nanometern zurückhalten. Solche Gläser können als Bakterienfilter oder zur Abtrennung von Viren eingesetzt werden. Ebenso lässt sich damit Essig- oder Propionsäure aus wässrigen Lösungen entfernen.Glas in der AstronomieEin Gebiet, das ganz besondere Anforderungen an das Material Glas stellt, ist die Astronomie. Zwei Anwendungen von Gläsern in der Astronomie seien hier beispielhaft beschrieben: Glasfasern und Teleskopspiegel.Glasfasern haben Durchmesser von weniger als einem Millimeter und werden in speziellen Ziehanlagen auf Längen von mehreren Metern gebracht. Wie in der Kommunikationstechnik, ihrem Haupteinsatzgebiet, dienen Glasfasern auch in der Astronomie dazu, Licht zu leiten. Die Fasern bestehen aus zwei Glasbereichen, einem Kernglas mit hoher Brechzahl und einem Mantelglas mit niedriger Brechzahl. Man erzeugt eine solche Faser, indem man ein Rohr des Kernglases in ein Rohr des Mantelglases einführt, beide aufschmilzt und die Schmelze dann zu langen dünnen Fäden zieht. Das Prinzip der Lichtleitung besteht darin, dass das Licht an der Stirnseite einer Faser eingekoppelt und auf seinem Weg durch die Faser ständig vom Mantelglas zurück in den Kernglasbereich reflektiert wird. Es kann die Faser seitlich nicht verlassen und erst an der hinteren Stirnfläche wieder austreten.In der Astronomie dienen Glasfasern beispielsweise dazu, mittels speziell angefertigter Lochmasken das Licht vieler vorher ausgewählter Sterne auf einen oder mehrere Detektoren zu bringen. Der Vorteil dieser Methode liegt darin, dass man flächige Spektrographen bauen kann, in denen das Licht mehrerer Sterne durch unterschiedliche Glasfasern herangeführt und gleichzeitig analysiert wird, ohne dass das Licht benachbarter Sterne die Messungen beeinflusst. Bei Faserbrüchen, etwa aufgrund zu starker Biegung, braucht man nur die Masken neu mit Fasern auszustatten, woraufhin diese sofort wieder eingesetzt werden können.Bei Teleskopspiegeln kommt es auf eine besonders hohe thermische Stabilität an. Bei Temperaturdifferenzen zwischen Tag und Nacht, die besonders im Gebirge oft zwanzig Grad und mehr ausmachen, treten in normalen Glaskörpern erhebliche Spannungen auf, da sich Glas wie die meisten anderen Materialien in der Kälte zusammenzieht. Bei Teleskopspiegeln, deren Oberfläche mit einer Genauigkeit von einigen wenigen Nanometern einer parabolischen Form folgen muss, würde dies sofort erhebliche Verzerrungen in der Güte der Spiegeloberfläche und damit in der Qualität der optischen Abbildung haben. Das ehemals größte Teleskop der Welt, der Sechsmeterspiegel im Kaukasus, musste aus diesem Grund mehrmals ausgetauscht werden, bevor akzeptable optische Bedingungen herrschten. Die Spiegelträger moderner Teleskope werden daher üblicherweise nicht aus Glas hergestellt, sondern aus einer Materialklasse, deren Potenzial erst seit wenigen Jahrzehnten voll ausgeschöpft wird, obwohl sie ebenfalls zu den ältesten technischen Errungenschaften der Menschheit zählt: den Keramiken.Dr. Gunnar Radons und Dr. Martin Stadtwald-KlenkeWeiterführende Erläuterungen finden Sie auch unter:keramische WerkstoffeBrevier Technische Keramik, herausgegeben vom Informationszentrum Technische Keramik (IZTK). Lauf 21998.Förderschwerpunkt Supraleitung. Bilanz und Perspektiven, herausgegeben vom Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie. Bonn 1998.Hülsenberg, Dagmar: Neue Glas- und Keramikwerkstoffe. Werkstoffe der Zukunft. Berlin-Ost 1989.Technische Keramik. Aufbau, Eigenschaften, Herstellung, Bearbeitung, Prüfung, herausgegeben von Horst-Dieter Tietz. Düsseldorf 1994.Weiß, Gustav: Keramik-Lexikon. Praktisches Wissen griffbereit. Bern u. a. 31998.
Universal-Lexikon. 2012.